Was ist Fiqh? Was bedeutet Usul al-Fiqh? Was ist der Unterschied?

Fatwa Nr. 2 Frage Was bedeutet Fiqh und was bedeutet Usul al-Fiqh? Worin besteht der Unterschied zwischen beiden? Antwort Alles Lob gebührt Allah, und der Segen und Frieden seien auf dem Gesandten Allahs. Im Folgenden gehen wir sprachlich (lugha), dann fachlich-wissenschaftlich (istilah), und schließlich vergleichend vor. 1) Sprachliche Bedeutung (lugha) Fiqh (فقه) Der arabische Stamm f-q-h bezeichnet tiefes, durchdringendes Verstehen, nicht bloßes Hören oder Oberflächenverständnis (1). Der Begriff wird im Qur’an mehrfach in diesem Sinn gebraucht, etwa: „… damit sie sich gründlich im Din verständig machen (liyatafaqqahu fi-d-din)…“ (Q 9:122) sowie „… jedoch die Heuchler verstehen nicht“ (Q 63:7) (2). Lexikographisch heißt es: „الْفِقْهُ: الْفَهْمُ“ – „Fiqh ist (das) Verstehen“; zugleich wird auf die Nuance des tiefen Begreifens verwiesen, die sich von ʿilm (reinem Wissen) unterscheidet (1). Usul (أصول) Usul ist der Plural von asl (أصل). Sprachlich bedeutet asl: Wurzel, Grundlage, Stamm, Ursprung, auch: das, worauf sich anderes stützt; der Gegenbegriff ist farʿ (Zweig, Abgeleitetes) (3). In der arabischen Lexikographie wird asl präzise als „mā yubnā ʿalayhi ghayruhu“ – „das, worauf anderes aufgebaut wird“ – beschrieben (3). Usul al-Fiqh (أصول الفقه) Zusammengesetzt bedeutet es wörtlich „die Grundlagen/Wurzeln des Fiqh“, also die Prinzipien, auf denen die Gewinnung von Rechtsurteilen ruht (4).   2) Fachliche Bedeutung (istilah) Fiqh (fachlich): Al-Ghazali definiert:„الفقه: العلم بالأحكام الشرعية العملية المكتسب من أدلتها التفصيلية.“„Fiqh ist: das Wissen um die praktischen, schariarechtlichen Urteile, das aus ihren detaillierten Belegen erworben wird.“ (5) Al-Amidi formuliert inhaltlich identisch:„هو العلم بالأحكام الشرعية العملية المُكتسَب من أدلتها التفصيلية.“ (6) Ibn Qudama beschreibt Fiqh in derselben Tradition als Kenntnis praktischer aḥkām aufgrund detaillierter Beweise (adilla tafsiliyya) (7). Usul al-Fiqh (fachlich): Al-Juwayni:„أصول الفقه: أدلة الفقه الإجمالية، وكيفية الاستفادة منها، وحال المستفيد.“„Usul al-Fiqh: die allgemeinen Beweise des Fiqh, die Art und Weise, wie man Nutzen aus ihnen zieht, und der Zustand dessen, der (daraus) Nutzen zieht (der Mujtahid).“ (8) Al-Ghazali (weit verbreitete Fassung):„معرفة أدلة الفقه إجمالاً وكيفية الاستفادة منها وحال المستفيد.“ (5) Al-Amidi wiederholt dies nahezu wörtlich (6); ash-Shawkani schließt sich in seinem Standardwerk Irshad al-Fuhul an (9). Anmerkung: Fiqh hat als Gegenstand „aḥkām ʿamaliyya“ (praktische Rechtsurteile wie Pflicht, Verbot, Empfehlung, Erlaubnis, Unerwünschtheit) und stützt sich dabei auf detaillierte Belege (Qur’an-Verse, Hadithe, Konsensnachweise, Analogie in konkreten Fällen) (5)(6)(7). Usul al-Fiqh ist Methodologie: Es behandelt Beweisarten (adilla), Sprachprinzipien (z. B. allgemeine und besondere Ausdrücke, Befehls- und Verbotsform, implizite Hinweise), Ijtihad-Regeln und Qualifikation des Rechtsableitenden (mujtahid) (8)(9).   3) Der Unterschied in der Sache (mit Beispielen) Kurzformel: Fiqh ist Ergebnislehre (die fertigen Urteile: z. B. „Das Pflichtgebet ist Pflicht.“). Usul al-Fiqh ist Wege-/Methodenlehre (wie man aus Belegen zu diesem Urteil gelangt). (8)(9) Beispiel A – Die Befehlsform (al-amr): Grundsatz: „الأمر للوجوب ما لم تصرفه قرينة“ – „Die Befehlsform indiziert Verbindlichkeit (Wujud), sofern keine gegenteilige Kontextanzeige (qarina) vorliegt.“ (10)(9) Fall: „Aqimu-s-salat“ – „Verrichtet das Gebet“ (Q 2:43 u. ö.). Fiqh sagt hier: Pflicht. Usul begründet dies aus der Sprachbedeutung des Befehls und der Abwesenheit einer entlastenden qarina (10)(9). Gegenbeispiel: „Fa-idha halaltum fastadu“ – „Wenn ihr aus dem Ihram ausgetreten seid, dann jagt!“ (Q 5:2). Die Befehlsform steht hier – aufgrund des Kontextes – nicht für Pflicht, sondern für Erlaubnis (ibaha). Das Usul-Prinzip erklärt die Abweichung (10)(9). Beispiel B – Allgemeines und Besonderes (ʿamm/khass): Ein allgemeiner Wortlaut (ʿamm) schließt alles unter seinen Begriff ein, bis ihn ein besonderer Beleg (khass) einschränkt. Fiqh-Ergebnis: Anwendungsreichweite einer Norm. Usul-Begründung: Sprachregel und Vorrang der Spezifizierung bei Kollision (11)(8)(9). Beispiel C – Verbindlichkeit des Befehls und ihre Grade: Usul klärt, wann ein Befehl sofortig (fawr) oder aufschiebbar (tarakhi) ist, und wie Wiederholung (takrar) zu beurteilen ist; Fiqh setzt es im Urteil um (z. B. einmalige Pflicht vs. wiederkehrende Pflicht) (10)(9)(12). Beispiel D – Qualifikation des Rechtsableitenden (mujtahid): Usul definiert Bedingungen des ijtihad (z. B. Beherrschung der Belege, Sprache, Abwägungsregeln), und Fiqh ist das Resultat dieses ijtihad (8)(9).   4) Ergebnis Fiqh und Usul al-Fiqh sind komplementäre Disziplinen: Usul liefert Wurzeln, Prinzipien und Methodik, Fiqh liefert Äste, Früchte und Urteile. Wer Fiqh studiert ohne Usul, kennt Ergebnisse ohne Begründungsweg; wer Usul studiert ohne Fiqh, kennt Wege ohne Ernte (8)(9). – Und Allah weiß es am besten. Scheich Abu Mikail el-Kamili Quellenverweise (1) Ibn Faris, Maqayis al-Lugha, Wurzel „f-q-h“; Ibn Manzur, Lisan al-Arab, Eintrag „fiqh“.(2) Al-Qur’an al-Karim, Q 9:122; Q 63:7; ferner Q 7:179; Q 59:13 (Belege für „la yafqahun“).(3) Ibn Faris, Maqayis al-Lugha, Wurzel „a-s-l“; Murtada az-Zabidi, Taj al-Arus, Eintrag „asl“.(4) al-Jurjani, at-Taʿrifat, Stichwort „asl“, „usul“, „fiqh“.(5) al-Ghazali, al-Mustasfa min ʿIlm al-Usul (Einleitung/Anfang), Def. von „Fiqh“ und „Usul al-Fiqh“.(6) al-Amidi, al-Ihkam fi Usul al-Ahkam (Muqaddima, Bāb al-taʿarifat), Def. von „Fiqh“ und „Usul al-Fiqh“.(7) Ibn Qudama, Rawdat an-Nadhir wa Junnat al-Munazir (Muqaddima), Aufbau und Gegenstand des Fiqh.(8) al-Juwayni, al-Burhan fi Usul al-Fiqh (Muqaddima), klassische Def. „Adillat al-fiqh al-ijmaliyya…“.(9) ash-Shawkani, Irshad al-Fuhul ila Tahqiq al-Haqq min ʿIlm al-Usul (Anfangskapitel), zu Def., Befehlsform und Methodik.(10) al-Ghazali, al-Mustasfa, Kitab al-Amr wa-n-Nahy („al-amr li-l-wujub ma lam taʿrid-hu qarina“); al-Amidi, al-Ihkam, Bāb al-Amr wa-n-Nahy.(11) al-Juwayni, al-Burhan, Abhandlungen zu ʿAmm/Khass; al-Amidi, al-Ihkam; Ibn Qudama, Rawdat an-Nadhir.(12) as-Subki, Jamʿ al-Jawamiʿ mit al-Mahalli’s Sharh und al-ʿAdhruʿi’s Hashiya, Abschnitte zu Amr (fawr/tarakhi, takrar).

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Was ist eine Fatwa?

Einleitung Das Wort „Fatwa“ stammt aus dem Arabischen und bedeutet „Rechtsgutachten“. Im islamischen Kontext bezeichnet eine Fatwa die Antwort auf eine religiöse oder rechtliche Frage, die von einem qualifizierten islamischen Gelehrten, dem sogenannten Mufti, erteilt wird. Diese Rechtsgutachten spielen eine wichtige Rolle in der islamischen Rechtsprechung und helfen Gläubigen, religiöse und alltägliche Fragen zu klären. In diesem Beitrag werden wir die Definition, die Erteilung und die Bedeutung von Fatwas im öffentlichen Diskurs detailliert untersuchen. Definition und Bedeutung der Fatwa Sprachlich (لغة): Das Wort „Fatwa“ (فتوى) stammt aus der arabischen Wurzel „فتى“ (fata), was „erklären“ oder „erhellen“ bedeutet. Die verschiedenen Formen des Wortes und deren Bedeutungen umfassen: الإفتاء (Al-Iftaa): Das Erklären oder das Lösen einer problematischen Angelegenheit. الفتوى (Al-Fatwa): Die Antwort eines Gelehrten auf eine religiöse oder rechtliche Frage. Plural: فتاوى (Fatawa). الفُتيا (Al-Futya): Klärung von unklaren rechtlichen Angelegenheiten, auch eine Ableitung von الإفتاء. الاستفتاء (Al-Istiftaa): Das Stellen einer Frage, um eine rechtliche oder religiöse Auskunft zu erhalten. Beispiele aus dem Koran: „يَا أَيُّهَا الْمَلَأُ أَفْتُونِي فِي رُؤْيَايَ“ (Sure Yusuf 12:43): „O ihr Vornehmen, gebt mir Auskunft über meinen Traum.“ „وَلَا تَسْتَفْتِ فِيهِمْ مِنْهُمْ أَحَدًا“ (Sure Al-Kahf 18:22): „Und befrage niemanden von ihnen darüber.“ Terminologisch (اصطلاحا): In der islamischen Jurisprudenz bedeutet eine Fatwa eine juristische Stellungnahme oder ein Rechtsgutachten, das von einem qualifizierten islamischen Gelehrten (Mufti) auf der Grundlage der Scharia (islamisches Gesetz) erteilt wird. Diese Definition umfasst mehrere wichtige Aspekte: Rechtsgutachten: Eine Fatwa ist eine fundierte juristische Meinung, die auf den primären Quellen des Islam (Koran und Sunna) basiert. Nicht bindend: Im Gegensatz zu einem Gerichtsurteil ist eine Fatwa nicht zwingend verbindlich, sondern dient als beratende Empfehlung. Spezifische Fragen: Eine Fatwa wird zu speziellen Fragen des Glaubens und des alltäglichen Lebens erteilt, die für Gläubige unklar sind. Wichtige Begriffe und ihre Bedeutungen: Mufti (مفتي): Ein islamischer Rechtsgelehrter, der befähigt ist, Fatwas zu erlassen. Der Mufti muss umfassende Kenntnisse der islamischen Rechtslehre (Fiqh) und der Methodik der Rechtsfindung (Ijtihad) besitzen. Scharia (شريعة): Das islamische Gesetz, das auf den primären Quellen des Islam, dem Koran und der Sunna, basiert. Es umfasst alle Aspekte des Lebens eines Muslims, einschließlich Glaubenslehren, Anbetung, Moral und Gesetzgebung.   Wer erteilt eine Fatwa? Eine Fatwa wird von einem Mufti erteilt, der über umfassende Kenntnisse des islamischen Rechts verfügt. Ein Mufti muss nicht nur den Koran und die Sunna beherrschen, sondern auch in der Lage sein, durch Analogieschlüsse (Qiyas) und unabhängiges Rechtsdenken (Ijtihad) zu fundierten Urteilen zu gelangen. Voraussetzungen für einen Mufti: Ein Mufti muss eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen, um qualifiziert zu sein, Fatwas zu erteilen: Fundierte Kenntnisse des islamischen Rechts (Fiqh): Ein tiefes Verständnis der islamischen Rechtslehre ist unerlässlich. Beherrschung der Methodik der Beweisführung: Die Fähigkeit, juristische Entscheidungen durch unabhängiges Rechtsdenken (Ijtihad) und Analogieschlüsse (Qiyas) zu treffen. Hoher moralischer und ethischer Standard: Ein tadelloser Charakter und bekannte Frömmigkeit sind erforderlich. Kenntnis des Koran und der Sunna: Der Mufti muss die primären Quellen des islamischen Rechts, den Koran und die Sunna, beherrschen. Verständnis der arabischen Sprache: Die Fähigkeit, die islamischen Texte im Original zu lesen und zu verstehen. Erfahrung und Ausbildung: Der Mufti sollte formelle Studien an anerkannten islamischen Institutionen abgeschlossen haben oder eine gleichwertige Ausbildung durch renommierte Gelehrte erhalten haben. Erfahrung und Wissen über aktuelle gesellschaftliche und rechtliche Entwicklungen: Der Mufti muss in der Lage sein, zeitgenössische Fragen und Probleme zu verstehen und darauf einzugehen. Ein Mufti darf beim Erstellen einer Fatwa zu einem Thema, über das es Meinungsverschiedenheiten gibt, nicht einfach die Meinung auswählen, die ihm am besten gefällt, ohne gründlich zu forschen. Stattdessen sollte er die fundierteste und überzeugendste bzw. die stärkste Meinung in seinen Augen, nach der Forschung, wählen. Gelehrte wie Abû Ishaq el-Maruzi und Ibn el-Qayyim verurteilten jene Muftis, die blind den Bestimmungen anderer folgen. Ein Mufti muss immer das bevorzugen, was er als das Urteil Allahs ansieht. Wer das Urteil Allahs ignoriert und den einfacheren Weg wählt, missachtet die Religion.   Klassifizierung von Fatwas Fatwas (eigentlich im Plural: Fatawa) können in verschiedene Kategorien unterteilt werden, je nachdem, auf welchem Aspekt des Lebens sie sich beziehen: Glaubensfragen: Beziehen sich auf Grundsätze des Glaubens, wie den Glauben an Gott, Engel, Offenbarungsbücher, Propheten und den Jüngsten Tag. Anbetungshandlungen: Regeln für Gebet (Salah), Fasten (Sawm), Almosen (Zakah) und Pilgerfahrt (Hadsch). Gesellschaftliche Fragen: Betreffen die muslimische Gemeinschaft als Ganzes und können politische und wirtschaftliche Themen einschließen. Individuelle Fragen: Spezifische Fragen, die einzelne Gläubige betreffen und je nach Zeit, Ort, Personen und Umständen variieren können. Eine andere Aufteilung wäre: Fatwas zu traditionellen und neuartigen Fragen: Traditionelle Fatwas: Urteile zu bereits bestehenden rechtlichen Präzedenzfällen, die auf den Quellen der Jurisprudenz basieren. Moderne Fatwas: Urteile zu neuen und bisher unerforschten Vorfällen, die eine sorgfältige Prüfung und Anpassung an die islamischen Rechtsvorschriften erfordern. Fatwas basierend auf dem Umfang: Kurze Fatwas: Diese beschränken sich darauf, das vorherrschende Urteil zu klären, mit oder ohne Beweismittel. Ausführliche Fatwas: Diese sind forschungsbasiert und erläutern das Urteil unter Angabe der Meinungen verschiedener Gelehrter und der zugrunde liegenden Beweise. Fatwas zu ethischen und moralischen Fragen: Ethik und Verhalten: Regeln und Richtlinien zu ethischem Verhalten und moralischen Fragen im sozialen und individuellen Kontext. Die sich dann wiederum in viele weitere Unterkategorien aufteilen. Prozess der Fatwa-Erstellung Der Prozess der Erstellung einer Fatwa ist streng geregelt und umfasst mehrere Stufen, um sicherzustellen, dass das erteilte Rechtsgutachten fundiert und relevant ist. Hier sind die detaillierten Schritte des Prozesses: Visualisierung des Problems (Taswir): Vollständiges Verständnis der Frage des Anfragenden. Der Mufti muss die Frage vollständig erfassen, indem er den Anfragenden befragt und die relevanten Umstände berücksichtigt. Adaptation (Takyif): Zuordnung der Frage zur passenden Kategorie des islamischen Rechts. Dieser Schritt beinhaltet die Klassifizierung der Frage unter dem entsprechenden Bereich der Jurisprudenz und ihren Unterkategorien. Rechtsfindung (Hukm Schara’i): Ableitung des Urteils aus den primären Quellen (Koran und Sunna) oder durch Analogieschluss (Qiyas) und unabhängiges Rechtsdenken (Ijtihad). Der Mufti verwendet seine Kenntnisse der Scharia, um ein fundiertes Urteil zu formulieren. Ausstellung des Rechtsgutachtens (Ifta): Anwendung des erarbeiteten Urteils auf die reale Situation des Anfragenden. Der Mufti muss sicherstellen, dass die Fatwa nicht gegen die Ziele (Maqasid) der islamischen Gesetzgebung verstößt oder einer der

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